Pastor Bernd Nielsen

Vögel und Engel

Vortrag zur Ausstellung in St. Trinitatis, Altona 16. September 2010​

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

auch ich begrüße Sie herzlich zu diesem besonderen Abend der Eröffnung einer besonderen Ausstellung: “Vögel und Engel” des Künstlers und Malers Nikolai.

Es ist mir und der Hauptkirchengemeinde St. Trinitatis Altona eine große Freude und eine große Ehre, dass wir dieser wunderbaren Bilderschau hier in dieser lichterfüllten und tagsüber sonnendurchfluteten Kirche Raum und Zeit geben dürfen. Und Licht ist ein ganz besonderes Motiv dieser Malerei. Und besonders danken möchte ich dem Verein „Papageienfischland – Park, Land der guten Nachbarn e.V.“, allen voran Herrn und Frau Rossine, durch deren unermüdlichen Einsatz für interkulturelle Begegnungen hier in Altona dieser Abend zustande kommen konnte. Die Ausstellung ist Teil und Auftakt ihres Projektes „Jüdisches Viertel im Herzen Altonas“, das sie zusammen mit Nikolai Estis dem Gedächtnis der Bewohner des jüdischen Viertels am Fischmarkt widmen und ebenso zu Ehren der „Gerechten unter den Völkern“ Deutschlands realisieren.

Nikolai Estis ist ein Künstler jüdischer Herkunft – und das Quartier rund um den Fischmarkt und die historische Mitte Altonas war lange Zeit vor der mörderischen Herrschaft der Nazis auch jüdisch geprägt, von jüdischen Menschen bewohnt und von ihrem Leben und ihrer Kultur erfüllt. So sind dieser Abend und diese Ausstellung sowie auch die am 23. September folgende Veranstaltung “Jüdisches Viertel im Herzen Altonas” auch Zeichen und Ereignisse der Versöhnung und der Wiedereinlebung jüdischer Kultur in Altona, Ereignisse der Begegnung und des Dialogs. Solche Ereignisse sind so unendlich wichtig – nach wie vor in unserer Welt und in diesen Tagen, in denen wir uns das unsägliche Gerede über ein “jüdisches Gen” anhören müssen, noch einmal auf besondere Weise.

Gestatten Sie mir einige Bemerkungen über die Bilderschau selbst, gesprochen aus der Sicht eines kunstbeflissenen, den Kulturdialog suchenden Theologen und Pastors:

“Vögel und Engel” ist der Titel dieser Ausstellung, und ich habe gelernt, dass es sich bei einer solchen Überschrift über einen Bildzyklus des Nikolai Estis’ nicht einfach um eine Themenstellung handelt, sondern eher um ein anklingendes Motiv, das dann eine ganze Werksfolge aus sich heraussetzt. Ja, noch deutlicher: “Im Zyklus zeigt sich (erst) das Sujet”, sagt Nikolai Estis. Entscheidend ist dabei der emotionale und spirituelle Zusammenhang der entstehenden, sich aus der Seele des Künstlers erhebenden Bilder. “Im Zyklus zeigt sich (erst) das Sujet” – das erinnert an die Bemerkungen Ludwig Wittgensteins über das Mystische: “Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen. (…) Es gibt allerdings Unaussprechliches: Dies zeigt sich, es ist das Mystische.” Das Mystische wird, nach dem Verschließen (μύειν) der nach außen sehenden Augen, mit dem inneren Sehen geschaut. “Man sieht nur mit dem Herzen gut.” (Antoine de Saint-Exupéry)

Und es ist wirklich Bemerkenswertes, was uns hier vor die Augen, das Herz und den Geist gestellt wurde; große, berührende Malerei, die wirklich mit malerischen Mitteln, den Mitteln der geformten, sich formenden Farbe entsteht. “Die auch den großen Gestus nicht scheut”, hätte ich fast gesagt, und will mich korrigieren: Auch die malerische Geste entsteht hier ohne ein Gewolltsein, sondern als Emanation, als Selbsthervorbringung der Seele. Welche Tiefe entsteht hier, sich zeigend, in den Prozessen, auf den Wegen, den inneren Wegen des Malens! Texturen von Farben legen sich übereinander, vermitteln Tiefe, umschreiben, berühren Raum, keinen beliebigen, keinen physikalisch berechenbaren Raum, sondern innere Räume, die zugleich kosmische Räume sind und historische Räume, Versammlungen geschichtlicher und persönlicher Erfahrungen – Erfahrungen aber, die nicht decodiert sein wollen, die vielleicht ahnbar sind, aber das Bild will weiter voran, es lebt, es eröffnet Zukünftiges …

Nikolai Estis, wie ich ihn verstehe, erweckt seine Leinwände und Malgründe, nicht um Historisches, Materielles, Erfahrenes zu “illustrieren”, sondern um fein Gespürtes – das in seiner Tiefe “Leiden und Mitleiden” ist – zur Farbe zu bringen, um es mit “freier Hand” den Schauenden zu “übergeben”, “den Menschen zurückzugeben”. “Das Konkrete” sei zu vermeiden, sagt Nikolai Estis, daher die abstrakte Formung der Farbe, die zugleich “geistige Substanzwerdung” (Jelena Schukowa) ist, entstehende, sich schaffende “Weltbilder” in ganz anderem, wörtlichen Sinn: bildhafte Welten.

Und nicht auf Geld, Konjunktur und Popularität habe der Maler bei seinem Werk zu achten – selbstverständlich nicht – sondern “aus der Gnade Gottes” entsteht große Malerei. “Betend und scheu” traten die alten Ikonenmaler ihren Dienst an, widmeten sie sich ihrer Aufgabe, ein Abbild des Urbildes des Göttlichen entstehen zu lassen. Immer wieder “lassen”, mit freier, leichter Hand das Bild entstehen lassen, es vor Augen führen und vor die Herzen, “nicht zu lehren sondern zu zeigen, dass es Licht gibt” und dass “inmitten des Chaos der Kosmos”, die Ordnung Gottes waltet, schon lange waltet – und ewig walten wird.

Daher, meine und sage ich, sind “Vögel und Engel” keine abwegigen Sujets für einen Welten malenden Künstler wie Nikolai Estis – und auch diese, die Vögel und die Engel, erscheinen, emanieren, bilden sich hervor oder heraus aus den Texturen der erweckten Leinwände. Himmelsboten, Boten Gottes, Gestalten des Lichts, die in all den sich bewegenden Farbräumen – welche Erfahrungen mit dieser Welt, der Seelen in dieser Welt und mit Gott erahnen lassen – erscheinen, Licht bringen.

“Erneure mich, o ewigs Licht” und: “in wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet”, heißt es in Liedern des Evangelischen Gesangbuches. Geborgenheit in einer Welt des Ausgeliefertseins, Licht in dunklen Zeiten, die Transformation von Leid in Trost und Hoffnung, von Chaos in eine tragende, sinnvolle Ordnung, am Ende von Tod in Leben: Das sind entscheidende Themen, Motive, Sujets des Glaubens, die in der Malerei des Nikolai Estis’ ahnbar, fühlbar, schaubar werden – letztlich in der Meditation über die Bilder hinter dem Bild, über das Erfahrbare in und hinter der Malerei.

Nikolai Estis “übergibt seine Malerei den Menschen”, so formuliert er es, und gibt dabei weiter und zurück an die Menschen, was er selbst empfängt in der Tiefe und Weite seiner Seele. Ich glaube ihm das, ich nehme ihm das ab im Angesicht seiner Malerei, große, berührende, bewegende Malerei, hier in diesem Hause Gottes. Trostvoll ist diese Malerei, weil sie auf sehr ehrliche Weise, auf wahrhaft geschaute und gemalte Weise vom Licht Gottes und seinen Lichtbringern kündet. Es tut uns gut, dies sehen und erleben zu dürfen, besonders in diesen von Dunkelheit bedrohten Zeiten.

Danke, Nikolai Estis!!!

Nikolai Estis, Vögel Nr. 9, 2009, Tempera auf Papier, 60 x 90 cm

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